Dr. Norbert Sijben
Februar 2000

Das Problem der Bulldogkälber

Wer ist nicht begeistert, wenn er zum ersten Mal eine kleine knuffige Dexterkuh mit Kalb bei Fuß sieht. Wenn man dann aber eine solch kleine Kuh erwerben will und sich umsieht, wird man schnell feststellen, daß nicht alle Dexter so aussehen. Das Erscheinungsbild variiert sehr stark. Es gibt kleine kurzbeinige Kühe und deutlich größere langbeinige- fast hirschartige- Kühe. Es sieht so aus als ob es sich um Rinder zweier verschiedener Rassen handelt. Obwohl die Rasse schon seit über hundert Jahren gezüchtet wird, ist sie offenbar noch nicht richtig durchgezüchtet, wie es wünschenswert ist bei stammbuchmäßig erfaßten Tierrassen mit gleichförmigen Tieren, die dem Idealbild der Rasse möglichst nahekommen, so daß ein Laie ein Tier von dem anderen kaum unterscheiden kann. Züchterisch und genetisch birgt die Dexterrasse noch interessante Aufgaben, die den Liebhaber und Züchter herausfordern.

Bekannt ist unter Fachleuten, daß in dieser Rasse übermäßig viele mißgebildete, vorzeitig ausgestoßene Kälber (meist zwischen dem 5. und 6. Trächtigkeitsmonat) geboren werden, sogenannte Bulldogkälber. Diese sind nicht lebensfähig. Sie sehen aus wie kleine Monster; sie haben einen Bulldoggen-ähnlich verformten Kopf auf einem plumpen und nicht geschlossenem Leib mit stummelförmigen Gliedmaßen. Aus statistischen Beobachtungen wissen wir, daß diese Bulldogkälber nur auftreten, wenn extrem kurzbeinige Tiere miteinander verpaart werden. Diese haben dann 50% langbeinige, 25% kurzbeinige Nachkommen, der Rest von 25% sind dann die mißgebildeten Bulldogkälber. Diese treten nie auf ,wenn langbeinige Tiere miteinander verpaart werden. Aber deren Nachkommen sind dann auch zu 100% wieder langbeinig.
Erfahrene Züchter achteten bisher darauf, daß die Elterntiere zu unterschiedlichen Typen gehören( also kurzbeinig x langbeinig).Bei dieser Verpaarung treten nämlich nie Bulldogkälber auf .Statistisch fallen dabei die Kälber zur Hälfte kurzbeinig und zur anderen Hälfte langbeinig aus. Dabei ist es unwesentlich ob Vater oder Mutter zu dem einen oder anderen Typ gehören. Auch wenn Vermutungen bestehen, daß die Farbe mit dem Entstehen von Bulldogkälbern gekoppelt sein kann, so ist doch bis heute der Beweis nicht erbracht worden.

Was steckt genetisch hinter dieser sonderbaren Vererbung?
Wir wissen inzwischen, daß die extrem Kurzbeinigen einen genetischen Fehler haben. Dieser heißt Achondroplasie oder Chondrodysplasie (ACH). Der Name kommt aus dem Griechischen und deutet auf die zugrunde liegende Störung des Knorpelwachstums. Diese ist genetisch dominant, wenn sie vererbt wird, auch wenn das andere paarige Gen normal ist. Die Kälber mit dieser Konstellation sind somit kurzbeinige Zwerge. Ähnliches liegt bei den menschlichen Liliputanern vor. Wird diese Anlage von beiden Elterntieren weitergegeben, so daß beide paarigen Gene gestört sind, entstehen die nicht lebensfähigen Bulldogkälber. Hier liegt wohl ein Letalfaktor vor, der nicht nur Einfluß auf das Knorpelwachstum zu haben scheint. Neuere Untersuchungen beim Menschen lassen vermuten, daß bis zu drei verschiedene Chondrodysplasieformen vorkommen können. Dies würde das Verstehen wesentlich schwerer machen und die züchterischen Konsequenzen komplizieren. Wir müssen warten, was die Forschung noch ans Tageslicht bringt. Ich denke, daß die bisherigen, oben beschriebenen Erkenntnisse, schon genügende Hilfen bieten damit sich die Dexterzüchter an möglichst vielen gesunden Kälbern erfreuen können und sie die Rasse gleichmäßiger züchten.

Was ist zu tun?
Wichtig ist, daß alle Bulldogkälber gemeldet und erfaßt werden; damit erkennen wir direkt die Elterntiere, die das dominante Achondroplasiegen tragen. Da die Dexter noch nicht sehr verbreitet sind, sollte man im ersten Schritt vor allem Sorgfalt bei der Auswahl des Bullen walten lassen. Bullen sollten von der Körperform einen mehr quadratischen Rahmen zeigen. Überhaupt keine extrem kurzbeinige Bullen mehr zur Zucht verwenden!

Im Einzelnen siehe die Rassebeschreibung und Standard der Dexter-Cattle- Society. Diejenigen Bullen, die Bulldogkälber- sei es auch nur ein einziges- gezeugt haben, sollten nicht zur Zucht verwendet werden. Dies kann man natürlich nur erkennen wenn auch das Muttertier kurzbeinig ist. Später sollten auch Mutterkühe von Bulldogkälbern von der Zucht ausgeschlossen werden. Wir vermuten, daß eine Reihe relativ kurzbeiniger Tiere (vielleicht diejenigen, die mittellang erscheinen) unter unseren Dextern sind und unserem Zuchtziel am nächsten kommen, die ohne genetische Störung sind.Mit diesen sollte dann die Zucht forciert werden. Möglicherweise können uns bald Blutuntersuchungen erleichtern die Träger des Achondroplasiegens zu identifizieren und dann diese Dexter aus der Zucht herauszunehmen . Für den Menschen bietet die Universität München bereits einen solchen Molekulargenetischen Text an. Unser Ziel ist eine gleichmäßige durchgezüchtete Dexterrasse ohne genetische Fehler. Gleichzeitig wollen wir aber nicht auf die Kleinheit, die relative Kurzbeinigkeit und den Rahmen des Körperbaus verzichten.
Auszug aus dem sachverstädigen Gutachten zur Auslegung von Par. 11b des Tierschutzgesetzes vom 2.6.1999.

(Verfasser: G. Fedorov)

CHONDRODYSPLASIE

DEFINITION: Disproportionierter Zwergwuchs mit Verkürzung der langen Röhrenknochen (oft auch der Gesichtsknochen) durch Störung der enchondralen Ossifikation mit vorzeitigem Wachstumsstillstand in den Epiphysenfugen (DÄMMRICH, 1967), für der möglicherweise eine hormonelle Fehlsteuerung ursächlich ist, die sich auf den Ca- und P-Stoffwechsel auswirkt (EIGENMANN et al., 1988; STOCKARD, 1941).

GENETIK: Erblichkeit und familiäre Häufung wurde in mehreren Tierarten nachgewiesen (BALL et al., 1982; VERHEIJEN u. BOUW, 1982). Das Merkmal scheint von einem autosomal unvollkommen dominanten Gen bestimmt zu sein, wie die Kreuzung disproportionierter Zwerge mit Normalwüchsigen zeigt, obwohl der klassische Zuchtversuch von STOCKARD (1928) zunächst auf eine polygene Basis hindeutete.

SYMPTOMATIK: Chondrodysplastische Tierarten zeigen eine starke Disposition zu frühzeitigen Fehlbildungen – mit oder ohne Verkalkung – im Bereich der Zwischenwirbelscheiben (KING, 1956; VERHEIJEN u. BOUW, 1982). Diese frühen Degenerationen im Nucleus pulposus und besonders im Anulus fibrosus machen letzteren brüchig (GHOSH et al., 1975; GRIFFITHS, 1972), was selbst bei physiologischen Belastungen zum Riß und damit zum Vorfall des Nucleus pulposus führen kann (Bandscheibenvorfall = Diskopathie). … Viele chondrodysplastische Tierarten zeigen außerdem eine ausgeprägte Brachyzephalie mit den damit verbundenen Defekten.

EMPFEHLUNG: Tiere mit sehr langem und geradem Rücken und ausgeprägter Kurzbeinigkeit neigen besonders zur Diskopathie. Eine Zucht gegen diese Merkmalsausprägung ist daher anzustreben, um eine Übertypisierung entgegenzuwirken. Es besteht noch Forschungsbedarf nach geeigneten Selektionskriterien.

BRACHYZEPHALIE / BRACHYGNATHIE:

DEFINITION: Breite, runde Ausformung des Schädels (ausgeprägte Jochbögen und größere Wölbung des Schädeldaches) und / oder Verkürzung der Kiefer- und Nasenknochen.

GENETIK: Polygen determinierter Merkmalskomplex.

SYMPTOMATIK: Schwergeburten bei Tieren mit extremen Rundköpfen; brachyzephale Tierarten, inspesondere verzwergte chondrodysplastische, neigen au Gehirntumoren (DAHME u. SCHIEFER, 1960; HAYES u. SCHIEFER, 1969) und Hydrocephalus (CHEW-LIM, 1976; YASHON et al., 1965); mit dem Grad der Verzwergung nimmt auch die Dicke des Schädeldaches ab, bei manchen Tieren (z.B. Hunde) verbunden mit persistierender Fontanelle (HAHN, 1988).

Das disproportionierte Wachstum der Schädelknochen bedingt eine Verkleinerung der Nebenhöhlen, Stenosen in den Nasenöffnungen und -gängen sowie einem relativ zu langen weichen Gaumen. Die Folge sind Atembeschwerden bis zu Atemnot, Störung der Thermoregulation (Hitzegefährdung) und Schluckbeschwerden. Diese Defekte werden deshalb auch als ‚brachycephalic airway obstruction syndrome‘ bezeichnet.

Außerdem können bei rundköpfigen Tieren die Augen weit hervortreten, eine Prädisposition für traumatische Augenerkrankungen. Weiterhin kann der Zahnschluß durch einen ausgeprägten Vorbiß (Prognathia inferior) so mangelhaft sein, daß die Gebißfunktion ungenügend ist.

EMPFEHLUNG: Extreme Rundschädeligkeit ist zu vermeiden.